Titel | INDat Report 03_2024 | April 2024

Die Frage der Zuständigkeiten am Insolvenzgericht – wer kann es besser?

Der Mythos des §  18 Abs.  2 RPflG

Berlin. Überflüssiges Relikt aus vergangenen Zeiten oder notwendige Regelung für ganz bestimmte, aber äußerst selten gegebene Konstellationen? Das Evokationsrecht gem. §  18 Abs. 2 RPflG fristet in der gerichtlichen Praxis auf jeden Fall ein Schattendasein, Insolvenzrichter machen davon offenbar gar keinen Gebrauch oder nur in eingegrenzten Fragestellungen äußerst weniger Verfahren. »Der Richter kann sich das Insolvenzverfahren ganz oder teilweise vorbehalten, wenn er dies für geboten erachtet«, so lautet die Regelung, die auch als Damoklesschwert verstanden werden und der Reputation des Rechtspflegers in der Außenwirkung schaden kann. »Hält er den Vorbehalt nicht mehr für erforderlich, kann er das Verfahren dem Rechtspfleger übertragen. Auch nach der Übertragung kann er das Verfahren wieder an sich ziehen, wenn und solange er dies für erforderlich hält.« Um ein Urteil über den Sinn oder Unsinn dieser Norm zu fällen, hilft es, deren Historie, Systematik und Zweck genauer zu betrachten und die verfassungsrechtlichen Vorgaben in den Blick zu nehmen. Bei einem aktuellen Streitfall am AG Münster kam und kommt zudem die Frage auf, ob die Anwendung des Evokationsrechts in diesem Insolvenzverfahren den gordischen Knoten durchschlagen hätte. 

Text: Prof. Dipl.-Rpfl. Ulrich Keller

I. Unklarheiten der Zuständigkeitsregelung

  1. Das Evokationsrecht des § 18 Abs. 2 RPflG

Die Zuständigkeitsverteilung am Insolvenzgericht zwischen Rechtspfleger und Richter ist seit Inkrafttreten des zweiten Rechtspflegergesetzes aus dem Jahr 1969 einerseits in § 3 Nr. 2 lit. e) und § 18 RPflG eindeutig geregelt, andererseits ist gerade § 18 RPflG mit seinen zahlreichen Änderungen und Ergänzungen ziemlich unklar. Es bestehen immer wieder Fragen der Abgrenzung, etwa bei der Zuständigkeit im Insolvenzplanverfahren mit der Prüfung oder Schlussrechnung, der Vergütungsfestsetzung und der Verfahrensaufhebung. § 18 Abs. 2 RPflG regelt ferner ein besonderes Vorbehaltsrecht des Richters, das oft als »Evokationsrecht« bezeichnet wird. Die Vorschrift ist sehr offen formuliert, fast konturlos. Sie führt in der gerichtlichen Praxis ein Schattendasein und wird wenig angewendet. Wenn sie aber zur Sprache gebracht wird, führt das nicht selten zu Unklarheiten oder gar zu Streit.

  1. Der Streitfall des AG Münster

Zu beobachten ist das aktuell in einem Fall des AG Münster, bei welchem der Insolvenzverwalter dem Rechtspfleger vorwirft, das Insolvenzverfahren jahrelang verschleppt zu haben (INDat Report 01_2024, S. 54). Dabei fragte der Verwalter auch, weshalb der Richter am AG Münster keinen Gebrauch von dem Vorbehaltsrecht gemacht habe. Die sinngemäße Antwort des AG Münster auch auf Anfrage des INDat Report, das mache man nie, mag für den konkreten Fall wenig befriedigend gewesen sein. Denn durch ein beherztes Eingreifen des Richters hätte einerseits eine jahrelange Verfahrensverzögerung vielleicht vermieden werden können. Andererseits kann die Verfahrensführung des Rechtspflegers sachliche Gründe gehabt haben. Eine Verfahrensübernahme durch den Richter wäre dann wenig sachdienlich gewesen. Was hätte er dann anders oder besser machen sollen? Zum sog. Evokationsrecht des § 18 Abs. 2 RPflG muss bereits vorweg erwähnt werden: Die Vorschrift enthält keine Garantie dahin gehend, dass es der Richter besser macht.

II. Historie und Wortlaut der Norm

  1. Richterliche Zuweisung und gesetzliche Vorbehaltsübertragung

Historisch steht § 18 Abs. 2 RPflG im Zusammenhang mit der Neuordnung der Rechtspflegerzuständigkeiten in der Hierarchie von Voll-, Vorbehalts- und Einzelübertragung nach § 3 Nr. 1–3 RPflG. Der Gesetzgeber stellte im Rahmen der Reform im Jahr 1969 fest, dass die Richter von der Übertragungsmöglichkeit an Rechtspfleger, wie sie noch im Rechtspflegergesetz von 1957 geregelt war, weitgehend Gebrauch gemacht hätten, sodass eine grundsätzliche Zuständigkeit des Rechtspflegers im Rahmen der sog. Vorbehaltsübertragung angemessen sei. Nach dieser Systematik ist der Rechtspfleger grundsätzlich zuständig, richterliche Zuständigkeit besteht nur für die in § 18 RPflG ausdrücklich genannten Entscheidungen. Eine andere Frage ist heute, ob der Katalog der vorbehaltenen Entscheidungen nicht schon so umfangreich ist, dass eigentlich besser von einer Einzelübertragung gesprochen werden müsste.

Als Überbleibsel der früher geltenden Richterzuständigkeit mit Übertragungsmöglichkeit an den Rechtspfleger hat der Gesetzgeber § 18 Abs. 2 RPflG geschaffen. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus: »Manche Konkursverfahren sind besonders umfangreich oder von großer Bedeutung für die Wirtschaft oder jedenfalls für den Kreis der Betroffenen. Außerdem können in bestimmten Verfahrensabschnitten erhebliche rechtliche Schwierigkeiten auftreten. Der Richter muss sich daher trotz der grundsätzlichen Zuweisung an den Rechtspfleger in solchen besonderen Fällen das gesamte Konkursverfahren oder bestimmte Verfahrensabschnitte vorbehalten können.«

Doch was heißt das? Wann ist ein Verfahren besonders umfangreich und von großer Bedeutung für die Wirtschaft? Soll § 18 Abs. 2 RPflG damit einen Ausnahmetatbestand regeln oder soll die Norm zumindest als Regelprüfungstatbestand anzusehen sein? Soll oder muss der Richter bei jeder Insolvenzeröffnung den Vorbehalt in Betracht ziehen?

(…)

Inhalt

Die kommende Ausgabe INDat Report 04_2024 erscheint am 05.06.2024.

Am 15.05.2024 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf
www.der-indat.de.

Aktuelle Ausgabe: 24.04.2024
Umfang: 92 Seiten

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